Nebulöse Vorstellungen von Butter & Schneefall- Erläuterungen und Hintergrundinformationen zur Arbeit mit imaginärer Kunst: (ein) mögliches Interview

 

Einzelne Arbeiten von ihnen werden mit dem Ausdruck “Gedankenskulptur“ bezeichnet- was ist unter diesem Begriff zu verstehen?

Um diese Frage zu beantworten muss etwas weiter ausgeholt werden- im Duden wird der Begriff „Skulptur“ mit den Worten „dreidimensionale, vom Menschen geschaffene Form oder Figur aus fester Materie“ definiert. Das können herkömmliche Skulpturen sein, aus Stein, aus Holz, Metall oder auch anderen Grundstoffen- in der modernen Kunst wurde die Auswahl der Basismaterialien für Skulpturen mehr und mehr erweitert. Und viele dieser Materialien kann man nicht nur sehen und berühren, sondern auch riechen, beispielsweise Holz. Der gemeinsame Nenner dieser Werke besteht darin, dass die Mehrzahl der letztlich ausgeführten Arbeiten ursprünglich auf eine Idee zurückgeht, eine Vorstellung davon, wie später etwas aussehen soll. Anschauliche Beispiele für solche Umsetzungsprozesse, der Materialisierung von Ideen also, lassen sich vergleichsweise gut in der Architektur finden- Bauwerke können oft bereits im Kopf eines Architekten detailliert Form annehmen, bevor sie später mittels Plänen von Baufachleuten tatsächlich realisiert werden.
 Beim Konzept der Gedankenskulptur entsteht die gedankliche Vorstellung eines Objekts durch Worte- Form, Grösse, Beschaffenheit von Material und Oberfläche werden in der Folge aber nicht materiell umgesetzt, sondern bestehen nur in der Fantasie des Betrachters. Sollte es sich bei einer bestimmten Vorstellung um eine Ansammlung mehrerer solcher gedanklicher Objekte handeln, kann auch von Gedankeninstallationen die Rede sein. Die Begriffe sind grundsätzlich austauschbar. Der Ausdruck „Gedankenskulptur“ stellt letztlich den Sammelbegriff für Idee und Ausführungen sämtlicher Arbeiten dar, die im Rahmen des Konzepts mit imaginärer Kunst entstanden sind. Und weiter entstehen. Randnotiz an dieser Stelle: nicht zu vergessen ist dabei der Umstand, dass die Voraussetzung zur Umsetzung solcher gedanklicher Werke in erster Linie der Bereitschaft eines geneigten Publikums bedarf, sich überhaupt auf diese Art von Gedankenspielen einzulassen. Denn die Leute werden ja dazu aufgefordert, ihre eigene Kreativität, ihre Vorstellungskraft zu aktivieren, um die Erfahrung einer Gedankenskulptur überhaupt erst möglich zu machen. Und werden dadurch in kreativen Schaffensprozess eingebunden.

Wie genau stellen Sie es an, eine Vorstellung, die nur in ihrem Kopf existiert, an Drittpersonen zu vermitteln- wird dabei auch mit Bildvorlagen gearbeitet oder beschränken sie sich dabei ganz auf Worte?

Bilder ja, Worte ja. Aber wie bereits erwähnt: keine realen Abbildungen wie Zeichnungen oder Fotografien. Bilder entstehen durch Worte, die Worte definieren eine Vorstellung. Und einer der besonderen Reize, auf der gedanklichen, nicht-materiellen Ebene zu bleiben, besteht darin, dass Materialien verwendet werden können, die so gar nicht existieren.
 Dadurch erhält man die Möglichkeit mit Wolken zu arbeiten, sie auf jede mögliche und vor allem auch unmögliche Art zu verarbeiten- in der Vorstellung lassen sich Wolken giessen, in jedwede Form bringen. Und sie danach gedanklich härten. Anschliessend lassen sie sich sie wie feste Objekte behandeln. Man kann diese imaginären Objekte auf dem Boden installieren oder frei im Raum schweben lassen. Alles ist möglich.

Und welcher Voraussetzungen bedarf es, um solche geistige Arbeiten optimal umzusetzen?

Man ist dabei nicht direkt an bestimmte Vorgaben gebunden; in geschlossenen Räumen wäre der für Gegenwartskunst mittlerweile fast schon klassische Rahmen des „White Cube“ aber von Vorteil. Ich denke an diverse, möglichst schlichte Räume, die dem Geist die nötige Ruhe geben, sich auf die Vorstellung zu konzentrieren, die im Raum entstehen soll. Die ideale Raumsituation für diese Art von Arbeiten wäre viele leere, hohe Räume von unterschiedlicher Grösse zur Verfügung zu haben. Da wäre dann also ein leerer Raum, etwa vier Meter hoch, fünf Meter lang und vier Meter breit. Decke und Wände weiss gestrichen, der Boden ein helles Zementgrau. Im Raum selbst ist in den meisten Fällen nichts weiter als ein dreibeiniger Metallständer vorhanden, an dessen oberen Ende eine Texttafel angebracht ist. Der so knapp wie möglich gehaltene Text definiert die Vorstellung einer imaginären Skulptur oder Installation, die dann in den leeren Raum projiziert wird. Die im Kopf entstandene Vorstellung wird also visualisiert und wenn es gelingt, sich ganz darauf einzulassen und sich auf die Vorstellung zu konzentrieren, dann können äusserst ungewöhnliche Kunstobjekte vor dem geistigen Auge entstehen.

Es ist also nichts weiter vorhanden, als eine Textplatte und ein leerer Raum, in dem dann etwas sein sollte, das nicht wirklich zu sehen ist?

Wenn man sich darauf einlässt, sich der Vorstellung hingibt, dann wird etwas da sein. Wenn auch nichts Sicht- oder Greifbares. Und vielleicht auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Aber diese eine Sekunde lang lässt sich etwas erfahren, das beinahe real ist. Das in der Erinnerung haften bleibt. Vielleicht mehr als die Erinnerung einer realen Abbildung. Im besten Fall.

Sind imaginäre Objekte auch käuflich erwerbbar?

Das ist durchaus möglich; es muss aber nicht zwangsläufig eine unsichtbare Skulptur oder Installation sein- ab 1991 sind im Prozess der Auseinandersetzung mit dem Thema gedanklicher Skulpturen auch real vorhandene Objekte entstanden. Als ich mit der Umsetzung erster geistiger Werke begann, wollte ich ursprünglich nur mit Texten arbeiten. Aber dann hatte ich das Gefühl, dass der Schritt von null auf hundert für das breite Publikum vielleicht zu gross sein könnte. Deshalb wurden in der Folge auch reale Objekte geschaffen, die als Hilfsmittel, als Bindeglied zwischen der materiell sichtbaren und der rein gedanklichen Ebene fungieren. Dabei sind unter anderem auch dreidimensionale Schriftbildobjekte entstanden: Textzeilen auf durchsichtigem Plexiglas, leicht zurückversetzt hinter mattiertem Glas, teilweise auch auf mehreren verschiedenen Ebenen, das Ganze in einem Holzrahmen gefasst. In der Art von Schaukästen, um Worte zu zitieren, die ein Journalist unlängst in einem Zeitungsartikel zur Beschreibung der Objekte gewählt hatte. Da hängt dann etwas Reales vor einem an der Wand, das in der Folge aber auch über das Objekt hinausgehen kann und in Gedanken seine Fortsetzung findet. Ein Beispiel dafür ist das Objekt „Nebel“, welches real im Raum vorhanden ist; die Erweiterung davon, die Vorstellung einer Nebeldecke, die den Raum bis auf Kniehöhe bedeckt, nachdem der Nebel gedanklich über den unteren Rand des Objekts hinaus auf den Boden geflossen ist, muss dann aber in der Vorstellung entstehen. Ein Text, der neben dem Schriftbildobjekt an der Wand klebt, leitet dazu an. Es sind auch Objekte in anderer Form entstanden, um den Einstieg in die Welt der Vorstellungen zu erleichtern.

Zurück zum Thema Gedankenskulptur- wie viele solcher Vorstellungen lassen sich schaffen, bis die Idee ausgereizt ist und die Spannung abnimmt?

Die Frage ist durchaus berechtigt. Lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber kaum abschliessend beantworten. Obwohl eine unendliche Fülle an Möglichkeiten in Bezug auf Vorstellungen oder Rohmaterialien zur Verfügung zu stehen scheint, ist es mir trotzdem wichtig, nicht in Beliebigkeit abzudriften. Mich nicht allzu sehr zu wiederholen. Das ist bereits jetzt ein Thema. In welcher Richtung eine Weiterentwicklung der Idee möglich sein könnte, wird sich zeigen. Zu Beginn hat es einfach nur Spass gemacht, die verschiedenen Aspekte und Möglichkeiten dieser Idee auszuloten. Das gilt für die Art der Übermittlung, wie auch für die Vorstellungen selbst. Es gibt klar definierte Vorstellungen, bei denen Grösse, Farbe, Material und Standort exakt vorgegeben sind. Dann wiederum gibt es auch Definitionen, die bei der Umsetzung der Objekte einen gewissen Freiraum lassen und beim individuellen Betrachter individuelle Vorstellungen wach werden lassen- ein Beispiel dafür ist die geistige Umsetzung des Bremsgeräusches einer Dampflokomotive in Form einer dreidimensionalen Metallskulptur, die auf flaches, weiss gestrichenes und real im Raum vorhandenes Holzpodest projiziert wird. Ich habe mein Bild davon, wie diese Skulptur aussieht. Jeder andere wird daraus aber wieder ein anderes Bild machen.

Anderes Thema- wieso überhaupt öffentliche Ausstellungen? Wäre es nicht auch möglich, das Konzept dieser Idee ausschliesslich in Druckform zu transportieren?

Das wäre durchaus denkbar, zumindest im Ansatz. Aber dadurch, dass man sich an einen bestimmten Ort hinbegibt, in speziell dafür geschaffene Räume, in denen man von alltäglichen Ablenkungen abgeschottet ist, wird es leichter fallen, sich auf diese Gedankenspiele einzulassen. Und dabei hat man auch den notwendigen, leeren Raum um sich herum. Über den wohl kaum jemand zu Hause verfügt. 
Und ausserdem sind da ja auch noch die real vorhandenen, dreidimensionalen Schriftbildobjekte. Die sich zwar auch auf Fotos abbilden lassen. Was aber nicht dasselbe wäre. Ausserdem werden in einer Ausstellung Vorstellungen durch dezente Hilfsmittel wie Bleistift- oder auch Bodenmarkierungen zugänglicher gemacht. Aber die Idee und das Konzept lassen sich bestimmt bis zu einem gewissen Punkt auf schriftliche Art und Weise weitervermitteln. Eine Publikation in dieser Form ist bereits geplant. Trotzdem sollte dies kein Ersatz für die Erfahrung solcher Werke vor Ort sein, wie sie in wirklichen Räumen stattfinden kann. Ich sehe eine Publikation in schriftlicher Form vielmehr als begleitende Dokumentation, die Ausstellungen in Museen oder dem öffentlichen Raum erst recht ermöglichen.

Wolken, Nebel, Bremsgeräusche. Welche weiteren, ungewöhnlichen “Materialien” werden für gedankliche Werke verwendet?

Eine weitere Spielart besteht in der gedanklichen Umsetzung von Gerüchen. Der Geruch von frisch geschnittenem Rasen in Form eines schwebenden, halbtransparenten Kubus. Solche Dinge. Und Schnee. Der von der Decke des jeweiligen Raumes fällt und sich dann auflöst, sobald die Flocken den Boden berühren. Zurück im Raum bleibt der Geruch von Schnee. Den die meisten Menschen kennen. Ein Teil dieser Arbeiten wird dadurch geschaffen, dass Erinnerungen von Erfahrungen abgerufen werden, die man in anderem Zusammenhang auf die eine oder andere Art möglicherweise bereits erlebt hat. Oder vielleicht auch nur irgendwo gesehen und dann im Kopf abgespeichert hat. 
Eine weitere Variation besteht darin, widersprüchliche Mitteilungen zu kombinieren. Einen Laubrechen aus Metall mit dem Schriftzug “Tender Touch” zu kombinieren. Dadurch eine geistig emotionale Reaktion bewirken. Die neueren Arbeiten zielen in diese Richtung, wollen Assoziation auslösen. Wichtig ist nicht das eigentliche Objekt als solches, sondern das, was es in deinem Kopf auslöst. Die Folgebilder, Gedanken, Gefühle.

Um noch einmal auf oben erwähnte “Materialien” zurückzukommen: wieso Wolken, Nebel, Butter und dergleichen?

Das Material oder die Stoffe, die geistig verarbeitet werden, haben in unterschiedlichen Kulturen Symbolgehalt. Nebel steht für das Unbestimmte, das Vage, auch für das Phantastische. In mythologischen Darstellungen mancher Völker steht Nebel für den Urstoff der Welt. Damit verbunden sind auch Wolken, die oft als Wohnsitz der Götter gelten, des Übersinnlichen. Für mich stellen sie eine Art lose Verbindung zwischen der realen Erde und der nicht greifbaren Unendlichkeit des Himmels dar. Butter gilt vor allem in Indien als Trägerin kosmischer Energie. Und Gedanken wiederum sind für mich eng mit Energie verbunden. Auch Formen und Farben werden nach Symbolgehalt ausgewählt und sind meist nicht zufällig. Ich bringe nicht greifbare Substanzen oft in die Form eines Kubus. Der Würfel ist ein begrenzter Köper, der aus Quadraten zusammengesetzt ist. Und Quadrate stehen für das Begrenzte. Würfel sind so Symbol für das Solide, Feste; zugleich können sie aber auch für die Ewigkeit stehen. Dadurch, dass ich abstrakte, nicht materiell definierte Substanzen und Vorstellungen in die Form eines Kubus bringe, versuche ich sie körperlicher zu machen.

Was war ausschlaggebend für diese Art von Kunst?

Ich wollte mich Anfang der neunziger Jahre vom Material wegbewegen, nachdem ich mich während Jahren mit Fotografie und später dann mit Malerei und Objektkunst beschäftigt hatte. Inspiriert von Künstlern, die mit Konzeptkunst arbeiten, aber auch von den Theorien des Architekten und Philosophen Rudolf Steiner in seinem Buch „Die Philosophie der Freiheit“, begann ich, die Möglichkeiten der Arbeit mit rein geistigen, unsichtbaren Skulpturen zu erkunden. Und eines der Ziele war damals auch, mein Atelier auf die Grösse eines Notizblocks zu reduzieren. Was letztlich nicht ganz gelungen ist.
 Aber es gab mehrere Gründe, warum ich mich vom Material lösen wollte: zum einen wollte ich das Schema des aktiven Schöpfers auf der einen und des passiven Betrachters auf der anderen Seite aufbrechen und Ausstellungsbesucher zu einem aktiven Teil des Werkes machen, sie in den Entstehungsprozess einbeziehen. Gleichzeitig fand ich die Idee, scheinbar Unmögliches möglich zu machen, schon länger reizvoll. Also habe ich mich irgendwann hingesetzt und angefangen, einzelne lose Gedankenfäden zu verknüpfen. Und wollte von da an immaterielle Objekte schaffen. Ich anerkannte die Aussage von Beuys, dass allein schon ein Gedanke eine Skulptur sein kann, und setzte diese Erkenntnis dann auch sehr wörtlich um. Und bald hatte ich dann auch ein geeignetes Gefäß für diese Art von Arbeiten entwickelt- das “Museum im Kopf”, kurz MIK, dessen geistige Grundsteinlegung 1994 in Form einer Gedankenskulptur im Rahmen einer halbseitigen Inseratenanzeige im Kunstmagazin “ARTIS” veröffentlicht wurde. Im Text des Inserats war eine Gedankenskulptur enthalten- die Vorstellung eines symbolischen, mattierten Glasbausteins, der auf Augenhöhe über dem Text der Zeitschriftenseite mit der Anzeige schwebt. Dabei soll das geplante, virtuelle Museum selbst nicht Kunstwerk, sondern vielmehr dazu da sein, den verschiedenen Vorstellungen genügend Raum zu geben und sie in einem entsprechenden Rahmen zu dokumentieren. Die Ausarbeitung dieses geistigen Museums wurde damals zwar begonnen, bisher aber noch nicht zu Ende gebracht. Vielleicht in diesem Jahrtausend…

Sie erwähnten verschiedene Gründe-

…von wegen Material, ja: das viele Material, das sich über die Jahre in meinem über zweihundert Quadratmeter umfassenden, unterirdischen Gewölbe angesammelt hatte, welches mir als Atelier, Ausstellungsraum und Lager diente, wuchs sich irgendwann zu einem riesigen Stein am Bein aus, der mich unbeweglich machte, mich zunehmend belastete. Ausserdem wurde es mir auch zunehmend wichtiger, positive Dinge zum Ausdruck zu bringen, gute Gefühle zu schaffen, nachdem ich mich in den achtziger Jahren vornehmlich mit den negativen Aspekten von Umwelt, Gesellschaft und Politik auseinandergesetzt und kritische Kommentare dazu geschaffen hatte, die Zeitobjekte eben.
 Irgendwann machte es einfach keinen Sinn mehr, negative Gefühle auszudrücken. Sie quasi noch auf ein Podest zu stellen. Ich wollte mich neu orientieren, mich schöneren Dingen zuwenden-

Dann steckt also hinter der Idee der Gedankenskulptur die Absicht, schöne Dinge herzustellen…?

In diesem Zusammenhang ist „Dinge“ wahrscheinlich der falsche Ausdruck, eher: Vorstellungen, Gefühle, Erfahrungen. Und das alles irgendwie auch mit einem Augenzwinkern, nicht todernst. Ich sehe die Idee der Gedankenskulptur nicht als eine hochgeistige, intellektuelle Sache – der poetische Aspekt ist mir wichtiger. Und dann habe ich eben auch den Anspruch, oder besser gesagt die Hoffnung, Menschen anzuregen, selbst aktiv zu werden, kreativ. Die eigene Phantasie, die ja zweifellos in jedem Menschen steckt, spielerisch auszuloten.

Im Sinne von Joseph Beuys, von wegen “jeder Mensch ist ein Künstler…”

…aber nicht jedem ist es gegeben, damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dieser Zusatz wird beim Zitieren dieser Aussage oft unterschlagen.

Auch Beuys hatte sich schon mit dem Aspekt der imaginären Skulptur beschäftigt- hatte das auch Vorbildcharakter für ihre Arbeiten?

Nicht wirklich. Bestimmt hatte mich das Thema im Zusammenhang mit Beuys früher auf die eine oder andere Art gestreift- ich habe zwar keine klare, bewusste Erinnerung daran, aber mein Unterbewusstsein hat das wahrscheinlich aufgenommen. Und dadurch wurde meine Arbeit wohl auch beeinflusst. Die Machbarkeit solcher Dinge. Aber was genau das für Beuys war, was das für ihn bedeutet hat, das kann ich nicht wiedergeben. Das habe ich noch nicht weiter erforscht. Es waren eher die Arbeiten von Yoko Ono aus den sechziger Jahren, ihre “Mind Games”, die mich beeinflusst haben. Allerdings habe ich einen Großteil ihrer Arbeiten erst kennengelernt, nachdem ich bereits mit der Arbeit mit gedanklichen Skulpturen begonnen hatte. In Orono fiel mir „Arias and Objects“, ein Bildband über ihr Werk, in die Hände, als ich ziellos in der Buchhandlung auf dem Campus der University of Maine herumstöberte. Zuerst war es frustrierend, zu erfahren, dass das schon jemand gemacht hat, dieses Spiel mit Gedanken und Vorstellungen im Zusammenhang mit Kunst. Aber meine Arbeit unterscheidet sich doch auch von Onos, vor allem in der Art der Umsetzung. Aber das kann man als einen Aspekt davon sehen, als eine Variation. Kein Grund für mich, nicht in die gleiche Richtung zu arbeiten. Ein paar Jahre später ist dann auch ein Objekt entstanden, quasi als Querverweis auf Onos Arbeiten, das Schriftobjekt „Tribute-to-piece: Yes (Yoko Ono)“. Ich sehe das nicht als Plagiat. Eher als Zitat. Ich mag auch Readymades. Die Arbeiten von Elsa von Freytag-Loringhoven und von Marcel Duchamp nach der Jahrhundertwende waren damals zweifellos bahnbrechend, diese Erweiterung der Kunst auf Alltagsgegenstände, die in einen neuen Kontext oder eine andere Umgebung gebracht, eine andere Bedeutung bekamen. Von Freytag-Loringhoven und Duchamp waren unter den ersten, die sich mit solchen Dingen beschäftigten, aber der konzeptuelle Ansatz dieser Arbeiten kann auch fast hundert Jahre später auf neue Weise wiederentdeckt werden. Variationen des Themas, verschiedene Aspekte sind meiner Meinung nach erlaubt, vor allem bei einem so spannenden Thema.

 

 

(Der Originaltext ist anlässlich der Ausstellung „retRoSPEKTIV:jeltsch“ entstanden, die im September 2001 in der Gundeldinger Kunsthalle Basel stattgefunden hat. Der hier vorliegende Text wurde im Zuge der Übersetzungsarbeiten vom Deutschen ins Englische in den Jahren 2021 – 2023 einige Male überarbeitet und auch leicht gekürzt.)